
Harry, du hast über 20 Jahre in Israel gelebt, wie kam es dazu?
Harry: Ich habe bereits in den späten 70ger Jahren die ersten Kontakte nach Israel bekommen. Ich war Mitarbeiter in einer christlichen Jugendbewegung und die Kontakte entstanden während eines internationalen Jugendcamps.
Und wie ging es weiter?
Harry: in den folgenden Jahren habe ich Israel viele Male besucht und die Freundschaften vertieft. Ende der 80ger dann ergab sich eine Gelegenheit für 1 Jahr nach Israel zu gehen….nun, es wurden fast 23 Jahre daraus.
Was ist deiner Meinung nach so besonders an Israel?
Harry: Da gibt es natürlich vieles zu berichten, aber ich will versuchen mich kurz zu fassen. An aller erster Stelle natürlich die Menschen. Sie selber bezeichnen sich ja als Sabras, eine Kakteenfeige, aussen stachelig und hart, innen aber herrlich saftig und süss. Ich glaube, diese Beschreibung ist sehr zutreffend. Viele Menschen, die ich kennen gelernt habe, wirken zunächst einmal vorlaut, ja fast grob und arrogant, aber wenn man sie näher kennt, dann öffnet sich eine Seite mit viel Herz, Wärme und Freundschaft. Und dann natürlich auch dieses wunderschöne Land. Ich habe ja die meiste Zeit im Norden, im sogenannten West Galiläa gelebt. Karge Bergzüge wechseln sich ab mit fruchtbaren Tälern und auf der Westseite liegt das Mittelmeer, mit seinen Stränden. Es erinnert ein bischen an die französische Provence. Und dann die Negevwüste, mittendrin das Tote Meer und am südlichsten Zipfel die Stadt Eilat am Roten Meer. Im Osten die Golanhöhen über dem See Genezareth, die sich weit nach Norden ziehen bis in das 3 Ländereck mit Syrien und dem Libanon und dem höchsten Berg Israels, dem Hermon der mit über 2800m sogar ein eigenes Skigebiet hat. Das faszinierende ist, dass es diese so unterschiedlichen Landschaften auf einem winzigen Landstreifen gibt, der gerade mal 500 km lang ist und an der breitesten Stelle 135 km misst (15 km an der schmalsten Stelle!), also in etwa die Größe Hessens hat.
Wie war es für dich als Deutscher in Israel zu leben?
Harry: Die Israelis sind Deutschland und den Deutschen gegenüber sehr freundlich gesonnen. Natürlich hat man den Holocaust nicht vergessen, wie sollte man auch? Jede 2te Familie hat Angehörige durch die furchtbaren Vernichtungslager der Nazis verloren und viele Kinder haben keine Großeltern, Tanten oder Onkel. Aber man sieht in Israel auch den Unterschied zwischen dem Nazideutschland von vor über 60 Jahren und dem demokratischen Deutschland, was trotz unterschiedlicher Regierungen an beiden Seiten immer an der Seite Israels gestanden hat. Persönlich fallen mir 2 Geschichten ein, die ich gerne erzählen würde…?
Nur zu!
Harry: Ich lebte seit einigen Monaten in einem kleinen Moshav am Mittelmeer bei einer jüdischen Familie, deren Vorfahren zum Teil aus Deutschland und auch aus Frankreich stammten. In der Nachbarschaft gab es viele andere Familien, die ebenfalls deutsche Wurzeln hatten. Darunter auch Hana Speidel (Anmerkung: Name geändert!) eine ca. 60jährige Frau, die mit ihrem Mann 2 Häuser neben uns wohnte. Mir fiel auf, dass aus ihrem Haus regelmässig alle paar Wochen nachts furchtbare Schreie zu hören waren. Als ich nachfragte, erfuhr ich, dass Hana als junges Mädchen in Auschwitz von Dr. Mengele gequält worden war und ihre gesamte Familie, darunter ihre Zwillingsschwester, dort umgekommen waren. Und noch viele Jahre später kamen die Erinnerungen in Form von Alpträumen zu ihr. Als ich ihr einige Tage später auf der Straße begegnete, nahm ich all meinen Mut zusammen sprach sie an: „Hana, es tut mir so leid, was dir als Mädchen unter den Nazis passiert ist, ich weiss, ich kann nichts tun, um das rückgängig zu machen, aber sag mir, ist es nicht schlimm für dich, dass jetzt ein Deutscher in deiner Nachbarschaft lebt?“ – Hana schaute mich mit ihren sanften und gütigen Augen an und antwortete:“Ach Harry, du bist so ein netter Junge und hast gar nichts damit zu tun, was mir in Auschwitz passiert ist. Hilf nur mit, damit man es niemals vergisst und solche Dinge nie wieder passieren werden.“ – „Ich verspreche es dir“, erwiderte ich mit Tränen in den Augen und sie nahm mich in den Arm, kniff mir in die Wange, lächelte und ging weiter. Die 2te Geschichte passierte bei meinem ersten Besuch in Yad Vashem, dem Holocaust Museeum in Jerusalem. Dazu muß man wissen, dass ich (Jahrgang 1960) während meiner Schulzeit ausführlich über die Schrecken der Nazis und den Holocaust informiert worden war. Faktisch sah ich also nichts neues, als ich nach Yad Vashem kam. All die Schaukästen mit den Ausstellungsobjekten der Greuelzeit, die schrecklichen Fotos, die alten Hetzschriften, Judensterne….all das war versehen mit Übersetzungstäfelchen aus Aluminium, auf denen in Hebräisch, Englisch und Arabisch Erläuterungen zu lesen waren. Als Deutscher, brauchte ich keine Übersetzung oder Erklärung, denn ich konnte die Originale lesen! Das traf mich wie ein Blitz! Zum ersten mal verstand ich, dass Hitler und das Naziregime nicht nur ein weiteres Kapitel im Geschichtsbuch, nach Bismarck und der Weimarer Republik waren, sondern ein Teil meiner eigenen und persönlichen Geschichte. Zum Glück lebten damals meine Großeltern (mütterlicherseits)noch und ich hatte mehrfach Gelegenheit, mit ihnen über ihre Erinnerungen und Einstellungen zu reden. Beide Geschichten haben etwas in mir bewirkt, undzwar den ausgeprägten Wunsch mit anderen Überlebenden zu reden und um Verzeihung zu bitten.
Wie gefährlich ist es in Israel zu leben?
Harry: ich habe den ersten Golfkrieg 1991 in Israel erlebt, den 2ten Libanonkrieg 2006 und dazwischen natürlich auch die schrecklichen Selbstmordattentate und Raketenangriffe aus Gaza. Das hört sich zunächst einmal dramatisch an. In der Realität jedoch habe ich mich immer sehr sicher gefühlt. Zum einen ist wohl kein anderes Land auf dieser Welt so gut auf kriegerische Auseinandersetzungen und Terrorbekämpfung vorbereitet, zum anderen waren die genannten Ereignisse örtlich und zeitlich begrenzt. Beides führte dazu, dass das Leben fast normal weiterlief und sogar manchmal ein besonderes Gefühl der Solidarität und Zusammengehörigkeit aufkam, eben weil man ständig von aussen bedroht wurde. Die größte Gefahr in Israel sehe ich in seinem Straßenverkehr. Leider sind die Israelis sehr schlechte Autofahrer und wissen es nicht.
Wie siehst du die Auseinandersetzung mit den Palestinensern?
Harry: Dazu muß man ersteinmal unterscheiden zwischen Palestinensern und israelischen Arabern. Die Araber aus dem Gazastreifen und von der Westbank sind Palestinenser. Dazu zähle ich auch die Hisbolla im Südlibanon. Es sind Menschen, die während und nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 aus Israel geflüchtet sind oder vertrieben wurden. In der Folgezeit entstanden Flüchtlingslager in den arabischen Nachbarländern, in Gaza(Ägypten), in der Westbank(Jordanien) und im Südlibanon. Durch den Sieg der Israelis während des 6 Tage Krieges 1967 fielen der Gazastreifen und die Westbank an Israel, mit ihm das Palestinenserproblem. Während Israel praktisch die gesamte Westbank (Ausnahme Ost Jerusalem)und den Gazastreifen zurückgeben will, sind die dort lebenden Palestinenser nicht bereit im Gegenzug Israel als Staat anzuerkennen. Wie kann so ein Frieden entstehen? Auf der anderen Seite gibt es fast eine Million arabische Israelis. Sie sind gleichwertige Bürger in einem demokratischen Land, mit Vertretern in der Regierung, eigenen Parteien und den gleichen Rechten wie alle andere Bürger des Landes. Die meisten dieser Menschen sind Moslems, aber es gibt auch einige Christen unter ihnen. Ihnen geht es besser als all ihren arabischen Nachbarn, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, wo sonst gibt es einen demokratischen Staat im Mittleren Osten. Den meisten der arabischen Israelis ist dies sehrwohl bewusst und sie würden niemals tauschen wollen. Dennoch gibt es natürlich ein Problem mit den Palestinensern. Sie leben in Armut, sind abhängig von der Zuwendung anderer und haben auch keine Perspektive auf ein besseres Leben. Für viele erscheint die 2- Staaten Idee die einzige Lösung des Problems zu sein, aber ich bin da sehr skeptisch. Zum einen kann Israel nur einer 2-Staaten Lösung zustimmen, wenn im Gegenzug ein echter Friedensvertrag abgeschlossen wird, also auch eine bedingungslose Anerkennung des Staates Israel von Seiten der Palestinenser. Zum anderen hätte ein solcher palestinensischer Staat gar keine wirtschaftliche Grundlage und wäre zum Scheitern verurteilt. Es fehlt dort an Industrie, an Infrastruktur und an politischer Stabilität. Vieleicht ist hier der größte Feind der Palestinenser, in ihrer politischen Uneinigkeit. Meiner Meinung nach sollten Palestinenser und Israelis gemeinsam überlegen, wie sie friedlich miteinander leben können. Dazu müsste Israel über seinen eigenen großen Schatten springen, der Angst vor einer moslemisierung ihres Landes und die Palestinenser zu gleichberechtigten Bürgern machen, und die palestinensische Autonomieregion in einem federalen Staat Israel integrieren. Das würde natürlich auf der anderen Seite von den Palestinensern verlangen, ihren Traum von einem eigenen Staat aufzugeben, endlich die „Lagermentalität“ abzulegen und gemeinsam mit dem Know How der Israelis die Ärmel hochzukrempeln und eine Zukunft zu bauen. All dies setzt natürlich voraus, daß man sich gegenseitig verzeiht. Es gibt eine interessante Entwicklung zu beobachten zwischen den messianischen Juden und den arabischen Christen. Hier erfolgt eine Annäherung durch den gemeinsamen Glauben an Jesus.
Messianische Juden – also Juden, die an Jesus glauben?
Harry: Ja genau, die messianische Bewegung in Israel hat sich enorm vergrößert in den letzten 20 Jahren. Während es damals nur vereinzelte Gruppen, vorwiegend Hauskreise gab, die meist im Verborgenen stattfinden mussten, zählt man heute bereits über 120 Gemeinden mit über 15000 Mitgliedern. Es gibt eine Dunkelziffer, die sogar von bis zu 30000 Teilnehmern spricht. Es treffen sich Menschen aller Altersgruppen um am Shabat den Gottesdienst zu feiern, mit Lobpreis, Verkündigung und Gebet. Juden, die Yeshua (Jesus) als Messias angenommen haben, darunter viele Immigranten aus Russland, vereinzelt Ausländer, also Christen, die in Israel leben und arbeiten oder einfach zu Besuch im Land sind aber eben auch immer mehr Israelis, die auf die Bewegung aufmerksam wurden und Jesus als den Messias erkannt haben. Viele dieser Gemeinden haben einen Dialog mit den arabischen Christen aus den Nachbargemeinden begonnen.
Ist das Missionieren in Israel nicht verboten?
Harry: Schon, aber es gibt auch die Religionsfreiheit. Das Wort „Mission“ wird bei vielen mit den brutalen Methoden aus der Kreuzfahrerzeit in Verbindung gebracht. Überhaupt hat sich die Kirche in der Vergangenheit ja leider oft sehr negativ gegenüber dem Judentum verhalten. Das ist natürlich eine grosse Barriere. Andererseits sind viele Israelis, vor allem sekuläre und junge Menschen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Im Gegensatz zu den orthodoxen Juden, leisten die messianischen Juden den Wehrdienst und heben sich auch nicht durch irgendwelche Äusserlichkeiten wie Kleidung oder Kopfbedeckung von den anderen Israelis ab. Das kommt gut an und macht neugierig. Leider haben nach wie vor viele Kirchen das noch nicht begriffen. Aus meiner Meinung nach völlig falsch verstandener Loyalität Israel gegenüber, wird das Missionsverbot wie eine heilige Kuh verehrt und die große Chance vertan. Ein Beispiel: In den 60ger Jahren gründeten Christen aus Holland und Deutschland einen kleinen Kibbuz in Galiläa. Man wollte als Zeichen der Widergutmachung Seite an Seite mit den anderen Kibbuzim leben und arbeiten und aufeinander zugehn. Als man zu Beginn mit den Behörden sprach, um die Genehmigung für dieses Projekt zu bekommen, wurde man auf das Missionsbverbot aufmerksam gemacht. Trotzdem entwickelte sich der Kibbuz prächtig. Junge Christen aus unterschiedlichen Ländern kamen mit ihren Familien nach israel, um in dem kibbuz zu arbeiten und zu leben. Es entstand eine erfolgreiche Rosenzucht, die Avocadoplantagen gehörten zu den ertragreichsten des Landes und man gründete eine Tischlerei, in der schon bald hochwertige Holztreppen gefertigt wurden, die im ganzen Land beliebt waren. Als man in den 90ger Jahren anfing, das Missionsverbot in den Mittelpunkt zu stellen, die Kapelle hiess plötzlich Gebetshaus, der Name Jesus wurde aus allen Liedern herausgenommen, die Weihnachts- und Neujahrsmesse, die im Laufe der Jahre bei viele Israelis beliebt war, wurde abgesetzt….in gewisserweise wurden die Mitglieder des Kibbuz ihrer eigenen, christlichen Identität beraubt. Heute gibt es keine Rosenzucht mehr. Die Plantagen sind verkauft oder verpachtet, in der Tischlerei wurde schon lange nicht mehr gearbeitet. Einzig das Gästehaus wird von einer kleinen Gruppe aus Volontären und Helfern unterhalten. Die ehemaligen Häuser der Mitglieder, die einst weiss getüncht mit bunten Gärten eine Augenweide darstellten, sind vermietet und verfallen zusehens. Nicht einmal genug Wasser für die einst so schönen Gärten gibt es. Natürlich wird es auch andere Gründe geben, politische, wirtschaftliche, soziale ….für mich ist es die Konsequenz einer falschen Unterwürfigkeit im Bezug auf das Missionsverbot. Gott lässt sich nicht einfach auf Grund eines Missionsverbotes ausklammern.
Seit 2010 lebst du mit deiner Familie wieder in Deutschland. Trotzdem ist dir die Verbindung zu Israel wichtig, immerhin hast du fast dein halbes Leben in Israel verbracht. Wie willst du die Verbindung aufrecht erhalten?
Harry: Für viele Jahre war mir der Gedanke, wieder nach Deutschland zurückzukehren, unerträglich. Trotzdem wurden wir 2010 mit der Möglichkeit konfrontiert. Ganz unterschiedliche Gründe hatten dazu geführt, daß eine Rückkehr nach Deutschland immer wahrscheinlicher wurde. Erst ein Schlüsselerlebnis einige Monate vor unserer Rückkehr, ein Gespräch mit unserer Ärztin aus Nahariya, gab den Ausschlag. Sie sagte zu mir:“ Harry, Israel braucht Menschen wie dich als Botschafter.“ Das soll bitte nicht überheblich klingen, aber es erschien mir doch plausiebel und reizvoll, in meinem alten Heimatland zum Fürsprecher meiner Wahlheimat zu werden. Ein erster Schritt ist diese Homepage. Wir wollen versuchen, zu aktuellen Themen Stellung zu nehmen, um etwas genauer, etwas mehr zu berichten, als es die Massenmedien schon tun. Des weiteren wollen wir Gruppen nach Israel bringen. Mit unserer Erfahrung aus vielen Jahren in Israel werden wir versuchen, Verbindungen zu schaffen, indem wir Menschen aus Israel und Deutschland zusammenführen. Am allerwichtigsten jedoch ist es mir, nicht stille zu halten wenn Israel oder die Juden zu Unrecht kritisiert werden. Ich bete um Weisheit und Mut, aber auch um Kraft und Ausdauer und bitte um Segen für diese Pläne. Harry, vielen Dank!